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HRK-Positionspapier (6)

Studiengebühren


In der öffentlichen Diskussion über die Finanzierung der Hochschulen wird immer wieder vorgeschlagen, einen Teil der Kosten durch Studiengebühren oder Nutzungsentgelte der Studierenden abzudecken. Hochschulen in Deutschland sind jedoch überwiegend staatliche Einrichtungen. Der freie Zugang zu den Hochschulen für jede(n) dazu Befähigte(n) ohne Rücksicht auf Herkommen und Einkommen der Eltern gehört zu den sozialen und demokratischen Errungenschaften der Bundesrepublik Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg. Sie zu bewahren, gehört zu den grundlegenden Aufgaben von Hochschulen und Staat als Teil gesellschaftlicher und staatlicher Zukunftsvorsorge. Hinzu kommt, daß in Deutschland keine Tradition privater Hochschulen oder erheblicher privater Finanzierung bei staatlichen Hochschulen besteht.

Deshalb ist sorgfältig abzuwägen, ob zur teilweisen Finanzierung der Hochschulen Studiengebühren eingeführt werden sollten. Diese Entscheidung fällt in den Verantwortungsbereich der Träger der Hochschulen. Im folgenden werden daher die aus der Sicht der Hochschulen wesentlichen, bei einer Entscheidung zu beachtenden Vor- und Nachteile von Studiengebühren sowie mögliche Lösungsmodelle bei einer Entscheidung für die generelle Einführung von Studiengebühren dargestellt.

a) Vorteile von Studiengebühren

Die Einführung von Studiengebühren würde die Möglichkeiten der Einnahmesteigerung bei den Hochschulen mit der der pretialen Lenkung der Ausbildungsentscheidungen verbinden. Das Gebührenaufkommen einer mittleren Universität mit 20.000 Studierenden würde sich bei einer unterstellten Gebührenhöhe von 1.000 DM je Semester unter der Annahme, daß aus sozialen Gründen nur die Hälfte der Studierenden Gebühren zahlt, auf 20 Millionen DM pro Jahr belaufen. Wenn diese Mittel den Hochschulen zur eigenständigen Verfügung verbleiben, werden damit erhebliche Spielräume für eine bessere Ausstattung der Hochschule im Bereich der Lehre, für die Überbrückung personeller Engpässe, für die Anschaffung von Literatur etc. geschaffen, sofern die Länder ihre Hochschulfinanzierung nicht vermindern.

Die Aufrechterhaltung des Studierendenstatus, auch wenn kein Studienabschluß angestrebt wird, würde ökonomisch unattraktiv. Ein Anreiz für ein zügiges Studium wäre gegeben, zumal wenn die Gebühren nach Überschreitung der Regelstudienzeit schrittweise angehoben würden. Jeder Studierende müßte für sich abwägen, ob die Kosten für das Studium unter Berücksichtigung der nicht-monetären Vorteile des Studiums den späteren Einkommenserwartungen entsprechen.

Mit Studiengebühren könnten volkswirtschaftliche Umverteilungseffekte teilweise aufgefangen werden. Finanzwirtschaftliche Untersuchungen zeigen, daß es einem Teil von Akademikern gelingt, während ihres Erwerbslebens einen deutlichen Einkommensvorsprung gegenüber Erwerbspersonen ohne Hochschulabschluß zu realisieren. Das staatliche Hochschulsystem wird aber aus Steuermitteln finanziert, die überwiegend von nicht-akademischen Erwerbstätigen erbracht werden.[11]

Den Hochschulen würde die Möglichkeit der Beeinflussung der Einnahmesituation über Studiengebühren, die im oben erwähnten Beispiel immerhin ca. 8 % des Haushaltes einer mittleren Hochschule ausmachen würden, Anreize geben, ein wettbewerbsfähiges Profil zu entwickeln, die Lehrbedingungen attraktiv zu gestalten und Innovationen im Fächerangebot zu fördern.

b) Gefahren von Studiengebühren

Studiengebühren stellen allerdings eine Teilprivatisierung bisher öffentlicher Aufwendungen für den Hochschulbereich dar. Es handelt sich gleichzeitig um eine Umverteilung der Kosten der Hochschulausbildung von der Allgemeinheit auf die Familien mit studierenden Kindern, die durch andere (steuerliche) Maßnahmen kompensiert werden müßte. Familien mit Kindern sorgen für die Aufrechterhaltung des Generationenvertrages. Sie sind durch Kosten der Erziehung und Ausbildung der Kinder finanziell gegenüber den Kinderlosen benachteiligt. Eltern tragen auch entscheidend zur Herausbildung von "Humanvermögen" bei, indem durch die familiäre Sozialisation Verhaltensweisen und Tugenden entwickelt werden, die für das gesellschaftliche Zusammenleben und die spätere Eingliederung in das Erwerbsleben grundlegend sind. Der Wert dieser Erziehungsarbeit wird volkswirtschaftlich mit den Opportunitätskosten entgangener Erwerbstätigkeit angesetzt. Neben diesem "Verlust" sind die tatsächlichen Aufwendungen für Kinder in Rechnung zu stellen, die derzeit nur zu einem Fünftel bis zu einem Viertel durch steuerliche Erleichterungen oder Transferzahlungen ausgeglichen werden. In der Finanzwissenschaft und -politik wird deshalb ein Familienleistungs- und -lastenausgleich gefordert. Die Einführung von Studiengebühren würde diesen noch erschweren.

Es besteht die Gefahr, daß die Einführung von Studiengebühren - wenn keine soziale Abfederung erfolgte - zu einer sozialen Auslese führen würde. Während des Studiums abzuführende Gebühren wären von Studierenden, die aus Familien mit geringen Einkommen stammen und deshalb nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz gefördert werden, nicht aufzubringen. Entsprechendes gilt für die Studierenden aus Familien mit einem Einkommen, das knapp oberhalb der Bemessungsgrenze des BAFöG liegt und die deshalb nicht mehr für die Ausbildungsförderung in Betracht kommen. Diese Studierenden haben ebenso wie die Bezieher von Teilförderungen oft erhebliche Probleme, ihr Studium zu finanzieren. Sie sind häufig auf studienbegleitende Erwerbsarbeit angewiesen, weil sie ihren Eltern eine finanzielle Unterstützung nicht abverlangen können. Eine Finanzierung des Studiums über die Kosten der Lebenshaltung hinaus wäre von ihnen nicht zu leisten.

Die Einführung von Studiengebühren birgt zudem die Gefahr, daß sie zu einem weiteren Rückzug des Staates aus der Hochschulfinanzierung führt. Der mit ihr verfolgte Zweck, die Hochschule mit zusätzlichen Mitteln zu versorgen, um bessere Lehrbedingungen zu schaffen, wäre damit verfehlt. Dem Preis des Studiums stünde keine preisangemessene Leistung der Hochschule gegenüber.

c) Mögliche Studiengebührenmodelle

Unter Berücksichtung dieser Vor- und Nachteile sind verschiedene denkbare Studiengebührenmodelle näher zu betrachten.

Grundsätzlich kann zunächst von einer "kleinen" und einer "großen" Lösung ausgegangen werden. Die kleine Lösung sieht Studiengebühren lediglich bei Überschreitung einer bestimmten Studiendauer vor ("Gebühren für Langzeitstudierende"). Sie tangiert den Studierenden, der sein Studium zügig zu Ende bringt, nicht. Sie hat aber Steuerungssignale für das Studienverhalten: die Hochschule steht nicht für beliebig lange Zeit kostenlos zur Verfügung, die sozialen Vorteile des Studierendenstatus würden kompensiert.

Dort, wo Gebühren für Langzeitstudierende praktiziert werden, zeigt sich allerdings, daß ihre Vorteile von den Nachteilen weitgehend aufgehoben werden. Die Einnahmen sind im Vergleich mit dem Verwaltungsaufwand gering. Es müssen eine Fülle von Ausnahmetatbeständen definiert und im Einzelfall überprüft werden, um zu einer gerechten und sozial verträglichen Lösung zu gelangen. Außerdem besteht bei unveränderten sozialen Randbedingungen die Gefahr, daß Gebühren für Langzeitstudierende gerade die Studierenden treffen, die nur eine BaföG-Teilförderung erhalten oder aus der Förderung soeben herausfallen, aber aufgrund der finanziellen Lage des Elternhauses auf studienbegleitende Erwerbsarbeit angewiesen sind und daher ihr Studium nicht zügig abschließen können. Zur Verkürzung der Studienzeiten erscheinen Maßnahmen wie ein gezieltes Anschreiben der Studierenden oder eine obligatorische Studienberatung nach Überschreiten bestimmter Fristen eher angemessen.

Die "große" Lösung sieht Studiengebühren für das gesamte Studium vor. Sie können während des Studiums oder nach Abschluß desselben fällig werden. Je nach Zeitpunkt der Fälligkeit kommen als Zahler theoretisch die Studierenden selbst, ihre Eltern, die Gesamtheit der Akademiker oder der Staat in Frage.

Je nach Ausgestaltung bergen sie sehr unterschiedliche Vor- und Nachteile.

- Finanzier Staat

Die sanfteste Form von Studiengebühren sind Bildungsgutscheine, die vom Staat ausgegeben werden für einen jeweils studiengangspezifischen Zeitraum, der je nach Umfang des Studiums - Teilzeitstudiums - auch gestreckt werden kann. Sie bringen keine zusätzlichen Mittel für den Hochschulbereich. Wenn die Hochschule aber entsprechend der Zahl ihrer Studierenden Gutscheine beim Staat einlösen kann oder Mittel erhält, sind sie ein Element des Wettbewerbs zwischen den und innerhalb der Hochschulen. Die einzelne Hochschule muß Anstrengungen in der Lehre unternehmen, um über die Gewinnung von Studierenden zusätzliche Mittel einzuwerben. Für den einzelnen Studierenden hat das Studium jedoch innerhalb der vorgegebenen Zeit nach wie vor keinen Preis. Damit wird eine Benachteiligung Studierender aus sozialen Grunden vermieden, aber vom einzelnen Studierenden wird auch kein Beitrag zur Finanzierung seiner Ausbildung erbracht. Verteilungsungerechtigkeiten zwischen Akademikern und Nicht-Akademikern werden nicht ausgeglichen.

Denkbar ist eine Kombination von Bildungsgutscheinen und Gebühren für Langzeitstudierende (s.o.).

- Finanzier Eltern

Die klassische Form von Studiengebühren sind Zahlungen, die während des Studiums aufgebracht werden. Da die Studierenden i.d.R. nicht über eigene Einnahmen verfügen, müssen Studiengebühren von den Eltern gezahlt werden. Sie verbinden den Vorteil zusätzlicher Einnahmen für den Hochschulbereich mit einem wirksamen Preismechanismus. Allerdings führen sie zu erheblichen Nachteilen von Familien mit Kindern gegenüber kinderlosen Familien. Außerdem verursachen sie intergenerationale Verteilungsungerechtigkeiten, da häufig Eltern, die selbst nicht in den Genuß eines Studiums und auch entsprechender Einkommensvorteile gekommen sind, die Mittel für ihre Kinder, die später von ihrer Ausbildung finanziell profitieren werden, aufbringen müssen. Darüber hinaus birgt diese Art von Studiengebühren die Gefahr sozialer Auslese (s.o.).

Wegen ihrer einschneidenden Nachteile ist diese Form der Studiengebühren abzulehnen.

- Finanzier Studierende

Auch der Studierende selbst kommt als Zahler in Betracht. Da dies in der Regel während des Studiums nicht aus eigenen Mitteln möglich ist, erhält jeder Studienanfänger einen zinsfreien oder niedrig verzinsten Kredit für die Begleichung seiner Studiengebühren (Bildungskredit). Diesen zahlt er später zurück, wenn er in das Berufsleben eingegliedert ist und bestimmte Einkommensgrenzen übersteigt. Ist dies nicht der Fall, entfällt die Rückzahlungspflicht oder sie wird aufgeschoben.

Eine derartige Lösung hätte den Vorteil, daß sie nicht zu einer weiteren Belastung von Familien mit Kindern führt und keine intergenerationalen Verteilungsungerechtigkeiten erzeugt, gleichzeitig aber eine gerechtere Lastenverteilung der Kosten der Ausbildung ermöglichen würde. Diese Form der Studiengebühr würde nicht zu einer sozialen Auslese führen, da die Rückzahlung allein von der finanziellen Leistungskraft des berufstätigen Akademikers abhängt.

Weitere Varianten sind, Studiengebühren von den Kosten der gewählten Hochschulart und des Studienganges abhängig zu machen oder sie einheitlich zu gestalten. Für eine Differenzierung nach Hochschularten spricht das Lenkungsargument. Gegen eine Differenzierung nach Studiengängen spricht, daß eine noch stärkere Nachfrage nach den kostengünstigeren geistes- und sozialwissenschaftlichen Studiengängen ausgelöst werden könnte, wohingegen volkswirtschaftlich kurzfristig bedeutenderen Studiengänge wie die ingenieurwissenschaftlichen noch schwächer nachgefragt würden, zumal dann, wenn die Arbeitsmarktchancen vorübergehend schlecht sind. Eine freie "Preisgestaltung" der Hochschule wäre unter dem Gesichtspunkt des Wettbewerbs langfristig eine interessante Variante, als erster Schritt erschiene aber eine einheitliche Gebührenlösung (bezogen auf die Hochschulart) sinnvoller, da der Verwaltungsaufwand geringer wäre und die von ihr ausgehenden Effekte eingehend beobachtet werden könnten und müßten.

- Finanzier Akademiker

Ein Beitrag zur Finanzierung des Studiums kann auch in Form einer Akademikersteuer geleistet werden. So könnten Akademiker nach dem Vorbild der Ergänzungsabgabe dazu verpflichtet werden, mit Zahlung der Einkommensteuer einen bestimmten zusätzlichen Teil ihres Einkommens.in einen Fonds zur Finanzierung des Hochschulbereichs abzuführen. Diese Lösung hat den Vorteil, daß sie zum Zeitpunkt der Studienaufnahme und des Studiums nicht zur sozialen Auslese führt und auch die Generation der Eltern nicht belastet. Verteilungsungerechtigkeiten zwischen Akademikern und Nicht-Akademikern werden zudem ausgeglichen. Die Belastung richtet sich nach der finanziellen Leistungsfähigkeit des verdienenden Akademikers. Außerdem könnte der Fonds sofort aufgebaut werden, indem die Studierenden der Vergangenheit zur Zahlung verpflichtet würden. Ein Nachteil dieser Lösung besteht darin, daß kein Steuerungseffekt auf das Studienverhalten ausgeht. Außerdem kann man sich durch Abwanderung ins Ausland der Zahlung entziehen.

- Voll-/Teilfinanzierung

Bei der Diskussion der Höhe der Studiengebühren müssen verschiedene Aspekte berücksichtigt werden. Unstrittig ist, daß Hochschulfinanzierung in Deutschland in erster Linie eine staatliche Aufgabe ist, ein Gebührenaufkommen also nur eine ergänzende Funktion haben kann. Dies ergibt sich zum einen aus der übergeordneten gesellschaftlichen und ökonomischen Bedeutung des Hochschulsektors. Unabhängig davon ist eine Vollfinanzierung des Studiums, die sich je nach gewähltem Studienfach auf einen Betrag von 2920 DM (Wirtschaftswissenschaften an Fachhochschulen) und 36126 DM (Humanmedizin) pro Jahr belaufen wurde12, dem Studierenden nicht zuzumuten. Sie führt wahrscheinlich auch zu dem gesellschaftlich unerwünschten Ergebnis, daß die Nachfrage nach einem Hochschulstudium drastisch sinkt. Gebühren müßten deshalb in der Höhe so gestaltet sein, daß ein fühlbarer Kostenbeitrag geleistet wird, aber bei zügigem Studium keine übermäßige Verschuldung der Studierenden eintritt. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Studierenden, die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz erhalten, ohnehin derzeit die Hälfte ihrer Zuwendungen für die Lebenshaltung zurückzahlen müssen.


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bay, 15.1.2001, URL www.michael-bayer.de