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Argumente gegen Studiengebühren (2)

Widerlegung des angeblichen Problems "zu langer Studienzeiten"


"Studierende nutzen den Staat aus und machen sich auf seine Kosten ein schönes Leben. Wenn sie für das Studium bezahlen müßten, würden sie die Sache wieder ernster nehmen." Das schöne Studentenleben gibt es genauso lange wie die Universitäten. Seit Ende der 80er wird wieder verstärkt über das "parasitäre Leben" der Studierenden lamentiert. Jedoch leben die Studierenden in ihrer überwiegenden Mehrheit weder auf Kosten des Staates (vgl. 3. soziale Gründe gg. Studiengebühren), noch studieren sie unverhältnismäßig lange.

Die überwiegende Mehrheit der StudentInnen absolviert - trotz der rapide verschlechterten Betreuungsrelation, den real zurückgehenden Mitteln und den steigenden Prüfungsanforderungen - in überraschend zügiger Weise ihr Studium. In allen Fächern nahm die Zahl der Studierenden von 1980 - 1990 stark zu:

Die realen Ausgaben sind - wie oben bereits genannt - kaum angestiegen. Der Anteil der Ausgaben für Hochschulen am Bruttosozialprodukt hat seit Ende der 70er um 20% abgenommen, die Studierenden haben sich verdreifacht! Seit Mitte der 70er wurden keine neuen Stellen für Professor(inn)en geschaffen. Kaum für Ausgleich sorgen konnten die wenigen neuen Stellen für Dozenten und Dozentinnen.

Wenn immer mehr Studierende von gleichbleibend wenig Professor(inn)en ohne Veränderung der Rahmenbedingungen betreut werden, führt dies automatisch zur Verlängerung der Studienzeiten.Gleichzeitig wird das Studium tendenziell verschult. Die "Massenuniversität" muß Veranstaltungen und Prüfungen möglichst breitenwirksam und effizient durchführen. Statt Kleingruppenseminaren gibt es Vorlesungen mit mehreren hundert Studierenden oder zulassungsbeschränkte Seminare. Statt Prüfung der individuellen Fähigkeiten werden Klausuren im Multiple-Choice-Verfahren zum Nachweis für Wissen und Bildung.

Die sinkende Qualität der Lehrveranstaltungen sowie die Einführung von im vornherein festgelegten "Quoten" für diejenigen, die die Prüfung bestehen können, führen selbstverständlich zur Verlängerung der Studienzeiten. Wenn in einzelnen Fächern ein bestimmter Prozentsatz an Studierenden in Prüfungen durchfallen muß, dann dauert das Studium - unabhängig vom Wissen der Studierenden - länger.

Zudem kommen sich verändernde gesellschaftliche Bedingungen. Immer weniger Studierende können und wollen sich um nichts anderes als ihr Studium kümmern. Das BAFöG reicht zum Lebensunterhalt entweder nicht vollkommen aus oder sie erhalten gar keins. Andere Studierende wollen auf etwas Luxus zugunsten einer kürzeren Studienzeit nicht verzichten und arbeiten trotz elterlicher Unterstützung neben ihrem Studium, um sich Urlaub, Kultur, Kleidung und anderes leisten zu können. Es ist durchaus legitim, für sein Studium etwas länger zu benötigen, wenn nebenher gearbeitet werden muß. Gearbeitet wird noch aus weiteren Gründen. JedeR weiß, daß ein Studium allein noch keine Garantie für einen attraktiven Arbeitsplatz ist. Wer vorbereitet sein will, muß Praxis erwerben, sich möglichst schon bei einigen Firmen bekannt machen oder über Arbeitsverhältnisse Kontakte knüpfen.

Nichts anderes hört man bei den Vorträgen der Personalchefs an Universitäten, nichts anderes bekommt von den bereits fertigen KommilitonInnen gesagt. Diejenigen, die "durchmarschiert" sind, müssen nach ihrem Studium die mangelnde Praxis oft erst noch mit Hilfe von Trainee-Programmen, Volontariaten oder Jobs ähnlicher Art erwerben. Die Studierenden, die während ihres Studiums nicht nur pure Theorie in sich hineingefuttert haben, können sich die Stellen oft aussuchen!

Es sind immer mehr Zusatzqualifikationen über die prüfungsrelevanten Studieninhalte hinaus nötig, wie Sprach- und Computerkenntnisse, Praktika in In- und Ausland, soziale Kompetenzen, Kritikfähigkeit und Verantwortungsbewußtsein. Ob diese in den willkürlich festgelegten Regelstudienzeiten überhaupt erlangt werden können, ist fraglich - unter den derzeitigen Studienbedingungen jedenfalls nicht. SchmalspurkurzzeitabsolventInnen haben daher oft große Schwierigkeiten bei der Arbeitssuche.

Studierende, die egal aus welchem Grund arbeiten und deren Studium damit zumindest kein Vollstudium sein kann, benötigen länger. Das muß auch erlaubt sein. Warum sollten ausgerechnet diejenigen zahlen, die sowieso seltener anwesend sind? Sie belasten die universitäre Infrastruktur kaum. Zudem stimmt es schlicht nicht, daß die Studienzeiten unerträglich angewachsen wären. Zwischen 1980 und 1991 haben sich nach den neuesten Zahlen des Wissenschaftsrates die AbsolventInnen in jedem Studienbereich beinahe verdoppelt.

Die durchschnittliche Studiendauer, die sowieso kaum aussagefähig sind, da sie nichts über die Verteilung aussagen und wieviele Studierende denn jetzt innerhalb der administrativ-willkürlichen Studienzeit bleiben und weiviele um wieviele Semester länger studieren, hat im selben Zeitraum kaum zugenommen:
  • Sprach- u. Kulturwissenschaften: 5,6 Jahre (1980) - 6,6 Jahre (1991)
  • Rechts-, Wirtschafts- u. Sozialwissenschaften: 5,5 Jahre (1980) - 6,0 Jahre (1991)
  • Mathematik, NaWi: 6,3 Jahre (1980) - 6,7 Jahre (1991)
  • Ingenieurwissenschaften: 5,8 Jahre (1980) - 6,7 (1991)
  • Diplom-, Magisterprüfungen insgesamt: 5,7 Jahre (1980) - 6,4 Jahre (1991) Berücksichtigt man weiterhin die Tatsache, daß in allen Studienfächern die Prüfungsanforderungen - korrespondierend mit dem Grad der Überlastung, aber auch irgendwelchen seltsamen natürlichen Gesetzen folgend - ständig steigen, muß man geradezu überrascht sein, daß soviele Studierende in relativ kurzer Zeit ihr Studium absolvieren.

    Ferner müssen natürlich bei der Bewertung der veränderten Studienzeit die Veränderung der sozialen Verhältnisse der Studierenden berücksichtigen. (Die Zahl der BAFöG-EmpfängerInnen ist "seit Kohl" um über 12% auf 20,75 % (1980) gesunken, von Volldarlehensförderung wurde auf Teilförderung umgestellt.


    Weiter:


    bay, 15.3.1999, URL www.michael-bayer.de