Bei keinem anderen Aspekt der Hochschulpolitik schlagen so schnell die Wogen hoch wie beim Thema Studiengebühren. Und so war es auch dieses pikante und populäre Detail, über das in der Diskussion um die Novelle des Hochschulrahmengesetzes kurz vor der Bundestagswahl konservativ-liberale Bundesregierung und SozialdemokratInnen stritten. Das sollte jedoch nicht den Blick darauf versperren, daß inzwischen nicht nur konservative Verbände und PolitikerInnen mit Studiengebühren liebäugeln – Ergebnis einer "zielgerichteten Enttabuisierung" (BULTMANN) seit dem Antritt der konservativ-liberalen Bundesregierung 1982. Abgeschafft worden waren sie 1970 vor dem Hintergrund des Ziels der sozialen Öffnung der Hochschulen.
Prominentes Beispiel für Studiengebühren-Forderungen aus dem linken Lager ist der ehemalige bildungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Peter Glotz. Seit Anfang 1995 fordert er gegen die Beschlußlage seiner Partei und Distanzierung seiner Fraktion "mäßige und sozial verträgliche Studiengebühren" von tausend Mark pro Semester. Inzwischen von seinem Posten zurückgetreten, arbeitet Glotz für das CHE. Auch dem früheren hessischen Finanzminister Karl Starzacher (SPD) schrieb die Presse Interesse an Studiengebühren zu. Zuletzt zitierte der Spiegel den niedersächsischen Wissenschaftsminister, Thomas Oppermann (SPD), mit den Worten, er sei gegen eine Absage an Studiengebühren. Eine private Beteiligung an Bildungsausgaben in Form von Bildungskonten, auf die einerseits sozial gestaffelt der Staat, andererseits die KontoinhaberInnen, deren Angehörige und andere Dritte einzahlen, forderte 1998 der Bildungsrat der gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung.
Die Debatte um Studiengebühren orientiert sich meist an den Gesichtspunkten Chancengleichheit und Hochschulfinanzierung. Übersehen werden nicht selten die bildungspolitischen Motive. Die aber spielen keinesfalls eine minderwertige Rolle. Michael Daxner hat die gängigen Positionen pro und contra Studiengebühren zusammengetragen. Argumente der GegnerInnen:
Die BefürworterInnen bringen vor:
Bei den BefürworterInnen marktgesteuerter Hochschulen sind wegen dieser regulativen Wirkung Studiengebühren beliebt. Erst mit ihnen "würde auch die allseits geforderte Verbesserung des Wettbewerbs zwischen den Hochschulen und das damit verknüpfte Postulat nach Stärkung der Hochschul-Autonomie rechten Sinn machen" (SIEGERS). Dabei geht es nicht nur um den Anreiz, schneller zu studieren. Torsten Bultmann erklärt diese Perspektive: Die gegenseitige Regulierung von Angebot (der Hochschulen) und Nachfrage (der Studierenden) stimmt demnach Bildungsverhalten und Hochschulressourcen quantitativ und qualitativ aufeinander ab. Die Studierenden müßten die Rendite ihrer Gebühren kalkulieren und sich damit stärker am Arbeitsmarkt orientieren. Die Fachbereiche müßten in dem Maße, wie ihre materielle Ausstattung zunehmend auf Einnahmen aus Studiengebühren angewiesen wäre, attraktive Angebote zur Anwerbung von Studierenden entwickeln – und sich auf diese Weise ebenso auf den Markt beziehen, da diese Attraktivität in direkter Relation zu den gesellschaftlichen Chancen der jeweiligen Studienabschlüsse stünde. Wenn es das Ziel ist, an den Hochschulen möglichst arbeitsmarktnah auszubilden, bedürfte es nicht einmal mehr einer politischen Steuerung.
Zudem wirken Studiengebühren, wenn sie an die Hochschulen gehen, als Katalysator der Differenzierung. Die Hochschulrektorenkonferenz überlegte, ob die Einnahmen je nach Renommee einer Hochschule oder eines Fachbereichs unterschiedlich hoch ausfallen können: "Eine freie Preisgestaltung wäre unter dem Gesichtspunkt des Wettbewerbs langfristig eine interessante Variante." Als "erster Schritt" erschien der HRK eine einheitliche Gebührenlösung sinnvoll – bezogen auf die Hochschulart. Überdurchschnittliche Einnahmen pro StudentIn heißt, um an gleich viel Geld zu kommen, brauchen diese Fachbereiche weniger StudentInnen aufzunehmen. Das wird die Arbeitsbedingungen dort weiter verbessern – und folglich anderswo verschlechtern.
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung beschrieb den bildungspolitischen Kontext der Studiengebühren im Jahre 1995 so: "Seit jeher fordert der Bund Freiheit der Wissenschaft, die Studenten sollten sich an den Kosten für ihre Ausbildung beteiligen. Aber erst seit der hochschulpolitische Sprecher der SPD, Glotz, und einige Landeskonferenzen der Hochschulrektoren laut darüber nachdenken, werden diese Vorschläge ernst genommen. Gedacht wird an eine Studiengebühr von 1000 Mark je Semester. Der Vorschlag des Bunds Freiheit der Wissenschaft hält sich allerdings an Voraussetzungen, die nicht erfüllt sind: die klare Auskunft darüber, welche Fachbereiche an welchen Hochschulen gut und welche nicht so gut sind (zum Beispiel Ranglisten wie in den Vereinigten Staaten); ferner die Freiheit der Hochschulen, sich ihre Studenten selbst auszuwählen, wobei die renommierten Hochschulen höhere Gebühren erheben können; schließlich eine großzügige Förderung der Begabten durch Stipendien. Auf diese Weise kämen die besten Studenten an die besten Fachbereiche; die guten Universitäten oder Fachbereiche würden immer besser, die nicht so guten wenigstens teilweise schlechter. Die guten Fachbereiche könnten so ihre internationale Konkurrenzfähigkeit in Forschung und Lehre verteidigen oder verbessern; die schlechteren müßten sich auf die Lehre konzentrieren. Wer nicht bereit ist, den Hochschulen bei steigender Studentenzahl mehr Geld zu geben, wird um diese oder eine ähnliche Lösung langfristig kaum herumkommen."
Drei Jahre nach dieser Einschätzung sind wichtige Hürden, die die gewünschten Effekte der Studiengebühren bislang verhinderten, zwar nicht ganz, aber doch weitgehend verschwunden: Nun gibt es vermehrt Ranglisten, und die Hochschulen suchen zumindest einen Teil der Studierenden selbst aus. Da paßt es, daß inzwischen wieder die ersten Studiengebühren anfallen: In Baden-Württemberg zahlen StudentInnen, die die Regelstudienzeit um mehr als zwei Jahre überschreiten, seit dem Sommersemester 1998 tausend Mark pro Halbjahr. (Am 5. Mai 1997 hat der baden-württembergische Landtag das Landeshochschulgebührengesetz verabschiedet, in Kraft getreten ist es am 24. Mai 1997. Das Gesetz regelt die zu erhebenden Studiengebühren für Studien an Hochschulen und Berufsakademien. Der Verfassungsrechtler MUTIUS bewertet die Regelung als einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz in Art. 3 I GG und damit als verfassungswidrig.) Andere, auch SPD-geführte Länder, erheben sogenannte Verwaltungsgebühren von allen StudentInnen in Höhe von hundert Mark. In Hessen wurden die Mahngebühren der Bibliotheken drastisch erhöht und Gebühren für den studentischen Zugang zum Internet eingeführt.
Als Gegenargument zur These, Studiengebühren führten zu einem sozialen numerus clausus, wird oft der Ausbau der Stipendienförderung genannt. So schlug der Bund Freiheit der Wissenschaft 1995 vor, das Bafög abzuschaffen und die entsprechenden Landes- und Bundesmittel auf die großen Begabungförderungswerke der Parteien und Verbände umzuverteilen. Das läuft darauf hinaus, das Recht auf Bildung zu ersetzen mit einer "Begabungsselektion nach Maßstäben der mächtigsten gesellschaftlichen Interessengruppen".
Das Centrum für Hochschulentwicklung, es mag nicht mehr überraschen, forciert ebenfalls Studiengebühren. Im Mai 1996 lud es zu einer Konferenz nach Bielefeld ein, um mit Gästen aus Japan, Australien, der Schweiz, den Niederlanden und den USA "Internationale Modelle und Erfahrungen" zu diskutieren. Das von CHE-Leiter Detlef Müller-Böling zusammengefaßte Ergebnis: Studiengebühren sind bildungs-, hochschul-, verteilungs- und finanzpolitisch sinnvoll und sozialpolitisch machbar. Im Mai 1998 legte das CHE mit dem Stifterverband ein "Modell für einen Beitrag der Studierenden zur Finanzierung der Hochschulen (Sudienbeitragsmodell)" vor.
Von Daxner ungenannt blieb ein weiteres Motiv für Studiengebühren: Sie schaffen einen Bildungsmarkt. So weist der konservative Kronberger Kreis darauf hin, seine Reformvorschläge – Studiengebühren (2000 Mark pro Semester) und leistungsbezogene Gehälter für ProfessorInnen – förderten den Aufbau privater Hochschulen. Die seien bislang benachteiligt, weil sie sich mit Gebühren finanzieren.
Siehe auch: HoPo-WWW, Schwerpunkt Studiengebühren
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