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Beschluß des Konvents der Uni Marburg


Folgende Resolution, eingebracht vom Bündnis alternativer linker Unigruppen (BALU) / Arbeitskreis Hochschulpolitik (ak hopo), hat der Marburger Konvent, das höchste Selbstverwaltungsgremium der Uni, mit einigen Gegenstimmen und Enthaltungen am 27. Oktober 1995 beschlossen:

"Die Philipps-Universität Marburg lehnt die Einführung jeder Art von Studiengebühren ab. Studiengebühren sind sozial fragwürdig und nicht geeignet, die Probleme der Hochschulen zu lösen. Die Finanzierung der Hochschulen muß eine gesellschaftliche Aufgabe sein und bleiben. Der Konvent bittet den Präsidenten, innerhalb der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) gegen Studiengebühren Stellung zu nehmen und entsprechend gegen Empfehlungen zu stimmen, die solche vorsehen."


Begründung

1. Studiengebühren in der öffentlichen Diskussion

Angesichts der immer desolateren Finanzlage der Hochschulen wird in der interessierten Öffentlichkeit wie in "Expertengremien" nach originellen Auswegen gesucht. Dabei werden immer öfter Studiengebühren in die Diskussion gebracht und befürwortet. Die vorgeschlagenen Modelle reichen von Bildungsgutscheinen" bis zu generellen Studiengebühren von 1000 Mark pro Semester. Die Befürworter tragen klingende Namen wie Bildungsminister oder Bayerische Rektorenkonferenz. Angesichts des öffentlichen Interesses und der weitreichenden Folgen von Studiengebühren erscheint es angebracht, als Universität zu diesem Thema Stellung zu beziehen. Eine solche Stellungnahme kann wie nachfolgend begründet nur negativ ausfallen.

Die Hochschulrektorenkonferenz (HRK), deren Mitglieder nicht die Rektoren und Präsidenten, sondern die von ihnen vertretenen Hochschulen sind, hat sich in der Vergangenheit weitgehend einmütig gegen eine Einführung von Studiengebühren gewandt. In ihrer nächsten Sitzung am 13. November wird sich die HRK voraussichtlich erneut mit dem Thema befassen. Hierzu liegt ihr ein Diskussionspapier (Zur Finanzierung der Hochschulen) vor, das Bund und Länder auffordert, Studiengebühren einzuführen, wenn sie sich nicht in der Lage sehen, den von einer Expertenkommission zu ermittelnden Finanzbedarf der Hochschulen aufzubringen. Da es nicht fraglich ist, wie Bund und Länder ihre finanziellen Leistungsfähigkeit in Bildungsfragen einschätzen, liegt der HRK also eine indirekte Empfehlung von Studiengebühren vor. Würde eine solche Empfehlung aber von Seiten der Hochschulen ausgesprochen, hätte das fatale Folgen für die öffentliche und politische Meinungsbildung. Deshalb möchten wir den Präsidenten bitten, einen solchen Beschluß nicht mitzutragen.

2. Studiengebühren sind sozial nicht zu verantworten

"Der freie Zugang zu den Hochschulen für jede(n) dazu Befähigte(n) ohne Rücksicht auf Herkommen und Einkommen der Eltern gehört zu den sozialen und demokratischen Errungenschaften der Bundesrepublik Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg. Sie zu bewahren, gehört zu den grundlegenden Aufgaben von Hochschulen und Staat als Teil gesellschaftlicher und staatlicher Zukunftsvorsorge." (HRK Diskussionspapier)

Der freie Zugang zu Hochschulen ist nicht mit Studiengebühren zu vereinbaren. Studiengebühren egal welcher Art wirken sozial selektiv. Daß daran auch eine Aussetzung auf Darlehen nichts ändert, belegt beispielsweise die prozentuale Abnahme von Studierenden aus ärmeren Familien seit der Umstellung des Bafögs auf Voll- beziehungsweise Halbdarlehen. Studiengebühren würden diese Entwicklung noch forcieren.

Die staatliche Finanzierung der Hochschulen ist letztlich nur dadurch zu rechtfertigen, daß die Hochschulen erstens durch breite Bildung und gesellschaftlich sowie wirtschaftlich relevante Forschung der demokratischen Gesellschaft dienen und zweitens, die universitäre Bildung allen Schichten der Bevölkerung offen steht. Wer einen dieser Punkte in Frage stellt, der stellt letztlich die gesamte staatliche Hochschulfinanzierung in Frage. Das sollten gerade wir als Vertreter einer Hochschule in wohlverstandenem Eigeninteresse berücksichtigen.

3. Studiengebühren lösen keine Probleme

Studiengebühren schaffen mehr Probleme als sie beseitigen. Einer geringen finanziellen Ausbeute stehen viele ungelöste Fragen gegenüber.

Für eine mittlere Hochschule mit 20 000 Studierenden errechnen die Autoren des HRK- Diskussionspapieres bei 1 000 Mark Studiengebühren je Semester, die aus sozialen Gründen nur von der Hälfte der StudentInnen gezahlt würden, 20 Millionen Mark Einnahmen pro Jahr. Das wäre mit 8 % des durchschnittlichen Haushaltes einer solchen Hochschule ein brauchbarer Beitrag zur Lösung der finanziellen Probleme.

Übersehen wird dabei erstens ein beträchtlicher Verwaltungsaufwand der knapp die Hälfte der Einnahmen wieder verbrauchen würde (Das ist einem Papier von Anke Brunn zu entnehmen, in dem der Vorschlag der LRK Baden-Württemberg durchgerechnet wird), zweitens, daß die Studiengebühren von der Steuer abgesetzt und damit wie auch eventuelle Stipendienprogramme zu weiteren Löchern in den öffentlichen Haushalten führen würden. Nicht nur aus diesem Grund ist zu erwarten, daß direkte Einnahmen der Hochschulen nur zu einem weiteren Rückzug des Staates aus der Hochschulfinanzierung führen würden.

Als Argument für Studiengebühren wird angeführt, diese könnten durch entsprechende Preisgestaltung eine Lenkungsfunktion entfalten. Das ist richtig. Nur ist es fraglich, ob die Hochschulwahl marktgerecht organisierbar ist, ob also Studierende gerade in Zeiten von Hochschulgebühren und BAföG-Kürzungen nach der Qualität von Hochschulen entscheiden würden, oder doch eher nach Kriterien wie billigem Wohnraum z.B. bei den Eltern und der Verfügbarkeit von studentischen Jobs. Das würde gerade qualitativ gute Hochschulen, die wie die Philipps-Universität in dünn besiedelten Gebieten mit wenig Industrie liegen, benachteiligen.

Problematisch ist außerdem, daß sich die Studienfachwahl noch mehr als bisher nicht an der individuellen Begabung, sondern an den späteren Gehaltsaussichten orientieren würde. Das würde zu einer Verstärkung des ohnehin schon zyklischen Studierverhaltens in den verschiedenen Fächern führen.

Das originellste Argument für Studiengebühren ist folgendes: Studiengebühren würden zu einer gerechteren volkswirtschaftlichen Verteilung führen. Untersuchungen hätten ergeben, daß Akademikern teilweise ein erheblicher Einkommensvorsprung vor Nichtakademikern gelingt während die Hochschulen aus Steuern finanziert würden, die hauptsächlich von Nicht-Akademikern erbracht würden.

Einmal ganz abgesehen von der Frage, ob solche Einkommensvorsprünge auch in Bezug auf das Lebenseinkommen bestehen, verdrehen die Verfechter dieses Argumentes die Tatsachen. Entscheidend ist, daß erstens eine breite akademische Bildung gesellschaftlich wichtig und gewollt ist, und zweitens, daß diese Bildung auch den Kindern von Menschen ohne Einkommensvorsprung offensteht. Genau das aber würden Studiengebühren verhindern. Diese verlagern nur die Kosten des Bildungssystems von der Allgemeinheit auf Familien mit Kindern.

In Deutschland besteht "keine Tradition privater Hochschulen oder erheblicher privater Finanzierung bei staatlichen Hochschulen" (HRK Diskussionspapier). Wir sollten das unsere dazu beitragen, daß dies so bleibt.


bay, 15.3.1999, URL www.michael-bayer.de