[ HoPo-WWW,
Textarchiv ]
Chronik der offiziellen Papiere
Anfang der 90er Jahre sind in Sachen Hochschulreform nur altbekannte politische Absichtserklärungen zu hören, die seit zwanzig Jahren immer wieder gescheitert sind: Der Hochschulzugang soll stärker reglementiert, die Studienzeiten sollen gesenkt, aus den Studienordnungen Inhalte gekürzt werden. Bisher sind diese Pläne nicht durchgekommen, weil es "an wirksamen Steuerungsinstrumenten" fehlte, wie der
Wissenschaftsrat
festgestellt hat.
Das Neue nun ist: Inzwischen sind Politik und führende Wirtschaftsverbände weitgehend einig, wie sie ihre Deform von oben umsetzen werden.
Die Etappen auf dem Weg dorthin sind
Die in diesen Papieren enthaltenen Vorstellungen werden in einem von den Bundesministerien
für Bildung und Wissenschaft (BMBW) sowie für Forschung und Technologie (BMFT)
erstellten "Grundsatzpapier zur Bildungs- und Forschungspolitik" verarbeitet und Anfang 1993 vom Bundeskabinett gebilligt.
Anfang 1993 tagt eine vom BMBW und den Wissenschaftsministerien der Länder
getragene gemeinsame Arbeitsgruppe, die sich bis Mai in einem Konsenspapier,
dem allseits bekannten und gefürchteten
Eckwertepapier,
über Eckwerte einer Reform der Struktur des Studiums verständigt.
Darin stehen vor allem ausgefeilte formale Hebel und Sanktionen, die die
Regelstudienzeit und die Zweiteilung der Hochschulen in ausbildungsorientierte
Massenbetriebe ("grundständiges Studium") und forschungsorientierte Spitzeneinrichtungen ("Graduiertenkollog") durchsetzen sollen. Inhaltliche Kriterien der Studienreform sind ebenso ausgespart wie ihre materiellen Rahmenbedingungen.
Am 3. September 1993 veröffentlicht die Bundesregierung ihren
"Bericht zur Zukunftssicherung des Standortes
Deutschland". Bildung kommt dort nur vor als wirtschaftlicher Faktor; die
Industrie soll "frühzeitig an der wissenschaftlichen Themenfindung" beteiligt werden.
Andere gesellschaftliche Aufgaben der Hochschulen spielen keine Rolle.
Gekrönt werden sollte der Berg Papier mit dem "Bildungsgipfel" mit dem Bundeskanzler, der dann allerdings nie (oder nur in einer Mini-Version) stattfindet. Stattdessen läuten Ende 1993 zwei getrennte Papiere die Schlußphase der Diskussion ein:
- Die MinisterpräsidentInnen der Länder einigen sich am 29. Oktober 1993 auf eine "Bildungspolitische Erklärung", die sich als eine Zusammenfassung des Eckwertepapiers lesen läßt. Spätestens hier gehen angebliche Sonderwege einzelner Bundesländer (etwa Hessen) zu Ende.
- Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) legt den Länderchefs bei einem Treffen am 16. Dezember 1993 ein "Positionspapier" vor. Es fordert unter anderem "Regelungen für Fälle unvertretbarer Überschreitung vonRegelstudienzeiten (z.B. Studiengebühren, reduzierterImmatrikulationsstatus oder Exmatrikulation) und mißbräuchlichen Fachrichtungswechsels". Bund und Länder sollen die dazu notwendigen Schritte auf der Grundlage des Eckwerte
p
apiers umgehend einleiten und bis spätestens Ende 1995 verwirklichen.
Die Länder stimmen dem nicht zu - nicht, weil ihnen die knallharten Regelungen Bauchschmerzen bereiten würden. Sie ärgern sich vielmehr darüber, daß Kohl keine "konkreten Zusagen für Mittelerhöhungen in den Bereichen Hochschule und Forschung" gibt und das 13. Schuljahr abschaffen will.
Seither ist auf Bundesebene Funkstille - in den Ländern aber wird ein Punkt nach dem anderen umgesetzt. Das heißt: Die Sanktionen beginnen zu greifen, während die bescheidenen materiellen und strukturellen Bedingungen weiter bestehen.
Quellennachweis: Grundlage des ersten Teils der kleinen Chronik i
st ein Abschnitt aus dem Buch von Torsten Bultmann: Zwischen Humboldt und
Standort Deutschland. Die Hochschulpolitik am Wendepunkt
(Forum Wissenschaft Studien 25), 1993, BdWi-Verlag.
Torsten Bultmann war Geschäftsführer des
Bunds demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (BdWi).
Die Teile des Textes, die den Zeitraum von Mitte 1993 an behandeln,
habe ich mir ausgedacht.
bay, 14.3.1999, URL www.michael-bayer.de