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Soziale Gerechtigkeit statt Wettbewerb!

Rede von Michael Bayer, Referat für Hochschulpolitik im AStA der Uni Marburg, bei einer Kundgebgung am 10. November 1995 auf dem Marburger Marktplatz im Rahmen der Aktionswoche

Liebe StudentInnen und SchülerInnen, liebe MarburgerInnen,

auf fast allen unserer Flugblätter steht es, das Motto dieser Aktionswoche: "Soziale Gerechtigkeit statt Wettbewerb". Wir haben bei den bundesweiten Vorbereitungstreffen lange darüber diskutiert - bekommen doch nicht wenige von uns doch täglich im Studium gepredigt, Wettbewerb sei das Heilmittel vieler Probleme. Seit neustem soll das auch für die Hochschulen gelten. Ich fürchte, das bedeutet für uns nicht das Beste. Synonyme für den positiv besetzten Begriff "Wettbewerb" sind "Konkurrenz" und "Gegeneinander-ausspielen" - und genau das soll künftig das Verhältnis bestimmen zwischen uns StudentInnen, aber auch zwischen den Lehrenden, zwischen den Fachbereichen einer Hochschulen und zwischen den Hochschulen des Landes. Einen Gewinn verbuchen dabei nur die Staatskassen.

Dieser Mechanismus greift bereits. Als im Juli die hessische Ministerin für Wissenschaft und Kunst, Christiane Hohmann-Dennhardt (SPD), ihren Antrittsbesuch an der Marburger Uni machte, konnte sie gar nicht schnell genug eine für sie erfreuliche Botschaft protestierenden StudentInnen vortragen: Sie sei sich mit den VertreterInnen des Marburger Fachbereichs Chemie einig, daß dessen Ausstattung nicht in Frage gestellt sei. Dafür könnte aber durchaus am Chemie-Fachbereich der Uni Gießen gekürzt werden. Was Frau Hohmann-Dennhardt im Gegenzug bei ihrem Antrittsbesuch in Gießen versprechen wird, in Marburg zu streichen, wissen wir nicht. Klar ist nur: Wenn sich die hessischen Hochschulgremien und -leitungen auf diese Strategie des Ministeriums einlassen, werden am Ende alle Hochschulen verlieren.

Daß es Wiesbaden wirklich erst meint, zeigen die sehr konkreten Pläne, in Gießen und Marburg gleich vier Kliniken und einen Studiengang dicht zu machen. Und wenn der Fachbereich beklagt, ausgerechnet die Marburger Zahnklinik werde geschlossen, wo sie doch Hessens beste sei, klingt unterschwellig mit: Es wäre doch sinnvoller, eine andere Zahnklinik zu schließen. Das ist die falsche Politik! Laßt uns gemeinsam dafür einsetzen, daß nirgendwo Studiengänge und Kliniken gestrichen werden.

Nicht nur die verschiedenen Hochulen sollen sich künftig im Wettbewerb gegensteitig die knappen Landesmittel streitig machen, auch die Fachbereiche. Das Land hatte vor zwei Jahren eine Expertenkommission (selbstverständlich ohne Studierende und MitarbeiterInnen) eingesetzt, die sich Verbesserungsvorschläge für Hessens Hochschulen ausdachte: die Hochschulstrukturkommission. Ihr Abschlußbericht liegt inzwischen vor. Der schlägt vor, weil die Uni-Selbstverwaltungsgremien tendentiell alles beim Alten liesen - eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus - sollten die zwar nicht sonderlich demokratischen, aber immerhin gewählten Gremien wie Fachbereichsrat und Konvent entmachtet werden. Sowas klingt vornehm so: "Mit einer weitsichtigen Struktur- und Entwicklungsplanung, die ohne interne Umwidmungen von Ressourcen nicht zu denken und zu realisieren ist, sind die bestehenden Gremien klar überfordert." Weg also mit dem bißchen Demokratie, das wir an den Hochschulen haben.

Damit die Umwidmungen vorankommen, hat die Landesregierung Wettbewerbsregeln aufgestellt. Sie nennen sich "leistungsbezogene Kriterien für die Mittelvergabe". Und das sind unter anderem: die Anzahl der StudentInnen in der Regelstudienzeit sowie Zahl der AbsolventInnen als Kriterium - diese Zahlen sollen die Qualität der Lehre widerspiegeln. Außerdem: die Höhe eingeworbener Mittel aus Forschungseinrichtungen und Industrie - als Kriterium für die Forschung. Derzeit werden auf 10% der Sachkosten so verteilt, der Anteil soll in den kommenden Jahren ständig erhöht werden.

Folge: Der bisherige Konflikt Hochschule - Ministerium wird verlagert auf die Ebene Fachbereich - Fachbereich und ProfessorIn - ProfessorIn. Das Land ist fein raus. Die Fachbereiche werden versuchen, die Kriterien für die Mittelvergabe zu gut wie möglich zu erfüllen. Das heißt, sie werden noch mehr Drittmittel einwerben - also vor allem nach den Wünschen der Industrie forschen und Druck auf StudentInnen ausüben, möglichst schnell zu studieren. In den Worten der Strukturkommission: "Mittels solcher wettbewerbsorientierter Verteilungsmodelle strebt der Staat eine Umsteruerung von Ressourcen an, in der Erwartung entsprechender Verteilentscheidungen innerhalb der Hochschule sowie letzlich von Umorientierungen und Verhaltensänderungen bei Wissenschaftlern und Studierenden." (S. 333)

Daran, daß die Studierenden sich früh genug an die neuen Sitten an den Hochschulen gewöhnen, hat die Hochschulrektorenkonferenz gedacht. Das Treffen also, das Montag über Studiengebühren diskutiert. Zunächst streben die Herren und Damen als Meßlatte 1000 Mark pro Semester an. Das HRK-Papier frohlockt: "Den Hochschulen würde die Möglichkeit der Beeinflussung der Einnahmesituation über Studiengebühren, die im oben erwähnten Beispiel immerhin ca. 8 % des Haushaltes einer mittleren Hochschule ausmachen würden, Anreize geben, ein wettbewerbsfähiges Profil zu entwickeln."

Der Preis wäre eine Zugangsbeschränkung für finanziell Schwache. Nicht alle, die sich für eine Hochschulbildung interessieren, sollen eine bekommen; nur die, die sich im ersten Konkurrenzkampf gegen andere StudentInnen durchgesetzt haben. Zudem kommt, daß die BewerberInnen natürlich unterschiedliche Ausgangsbedinungen (Vorwissen, evt. aus Privatunterricht oder Geld zur Studienfinanzierung) mitbringen. Von Chancengleichheit kann also keine Rede mehr sein.

Aber es kommt noch besser: In Wettbewerbs-Bedingungen ist es üblich, begehrte Dinge teurer als andere zu verkaufen. Insofern ist es nur logisch, wenn die Hochschulrektoren darüber nachdenken, die Höhe der Studiengebühren von der gewählten Hochschulart und vom Studienganges abhängig zu machen. Dafür spreche das "Lenkungsargument". So werden Kinder weniger reicher Eltern vom Studieren abgeschreckt; und die begehrten Studienplätze werden sie sich ohnehin nicht leisten können.

Wir sollten diese üble Politik nicht mitmachen.

Laßt wir StudentInnen uns nicht gegenseitig ausspielen; und achten wir darauf, daß sich Fachbereiche nicht gegen Fachbereiche und Hochschulen nicht gegen Hochschulen ausspielen lassen.

Weniger Staat ist nicht immer mehr - der Sozialabbau, den wir alle inzwischen auch selbst erleben - macht das deutlich. Chancengleichheit muß wieder Ziel der Politik werden. Wer schon ohnehin benachteiligt ist, darf nicht noch durch künstlich erzeugte Konkurrenz beseite geschoben werden, sondern muß im Gegenteil Hilfe bekommen.

Als Studierende fordern wir deshalb eine Ausbildungsförderung als vollständigen Zuschuß. Nur so ist wirklich Bildung für junge Menschen aus allen gesellschaftliche Schichten möglich. Und entsprechend setzen wir uns als Bürgerinnen und Bürger ein für eine bedarfsgerechte sozialen Mindest- oder Grundsicherung für alle.

Bildung und Ausbildung - die Vollversammlung hat das schon in ihrer Resolution bekräftigt - sind vor allem Mittel individueller und gesellschaftlicher Emanzipation - und nicht primär ökonomischer Standortfaktor. Die Finanzierung der Hochschulen und der Studierenden ist als gesellschaftliche Aufgabe grundsätzlich Verpflichtung des Staates. Deshalb müssen Bund und Länder die Hochschulen angemessen ausstatten. In diesem Zusammenhang fordern wir auch den Erhalt der Kliniken in Gießen und Marburg und des Studiengangs Zahnmedizin in Maburg. Bafög-Zinsen und Studiengbühren lehnen wir ab.

Wir machen hier klar:


bay, 15.1.2001, URL www.michael-bayer.de