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Maulkorb für den AStA Marburg und drei Fachschaften

Uni-Verwaltung verbietet Äußerungen zu Kurdistan

Aus dem AStA-Info 01 vom 17. Oktober 1994

Kritische Stimmen werden in Deutschland offenbar lästig. In jüngster Zeit versuchen Uni-Verwaltungen, Staatsanwaltschaften und Gerichte, die Arbeit linker Studi-Vertretungen zu behindern und zu kriminalisieren. Nach Göttingen und Münster trifft es nun den Marburger AStA und die Fachschaften Politik, Psychologie und Soziologie.

Abschiebung und Selbstbestimmungsrecht von KurdInnen oder Waffenlieferungen an die Türkei sind Themen, zu denen AStA und Fachschaften künftig den Mund halten sollen. Die Uni-Rechtsabteilung hat als Aufsichtsbehörde Stellungnahmen dazu kurzerhand verboten. Anlaß war ein Aufruf zu einer (friedlich verlaufenen) bundesweiten Demonstration für eine politische und demokratische Lösung der Kurdistan- Frage. Der AStA und die drei Fachschaften hatten ihn unterstützt.

Die Uni-Verwaltung beruft sich auf die ständige Rechtsprechung, nach der die Studi-Vertretungen zwar "über politische Themenstellungen und Probleme" informieren dürften - "nicht davon umfaßt werden aber eigene Stellungnahmen der Studentenschaften zu politischen Fragen". Diese rechtsdogmatische Konstruktion wurde in den 70er Jahren erfunden, um den linken ASten den Mund zu verbieten. Wegen des Streits um das "Politische Mandat" wurden schon einige Prozesse gegen sie geführt; horrendes Stafgeld wurde fällig. In Marburg gab's zuletzt Ärger, als das AStA-Info zu einer Demonstration gegen Wohnungsnot und zur Teilnahme am Protest gegen den Weltwirtschaftsgipfel in der bayerischen Landeshauptstadt München aufgerufen hatte.


Aus dem Brief der Rechtsabteilung

PHILIPPS-UNIVERSITÄT MARBURG
Der Präsident

(...)
In Ausübung meiner Pflicht als Rechtsaufsichtsbehörde treffe ich folgende Rechtsaufsichtsverfügung:

  1. Die Unterstützung des Aufrufs zur bundesweiten Demonstration für eine politische und demokratische Lösung der Kurdistan-Frage im Zusammenhang mit den in dem genannten Flugblatt aufgestellten behauptungen und Forderungen durch den AStA der Philipps-Universität, die Aktive Fachschaft Politik und Soziologie sowie die Fachschaft Psychologie wird beanstandet.

  2. Den Organen der Studentenschaft der Philipps-Universität Marburg sowie den genannten Fachschaften wird untersagt, Stellungnahmen zu folgenden Themen selbst abzugeben oder Stellungnahmen anderer zu unterstützen:
    1. zur Aufhebung des Verbots kurdischer Organisationen und Vereinigungen in der Bundesrepublik,
    2. zur Abschiebung von KurdInnen in die Türkei,
    3. dem Stopp deutscher und anderer Rüstungslieferungen an die Türkei,
    4. zu der Behauptung, daß vordergründige Beschuldigungen und geringste Vergehen gegen die BRD-Gesetze genügen, um KurdInnen für Monate oder Jahre in den Knast zu bringen,
    5. zur Anerkennung des Selbstbestimmungsrechtes des kurdischen Volkes sowie zur Verurteilung der Menschenrechtsverletzungen des türkischen Staates in Kurdistan,
    6. zu der Behauptung, daß die Türkei, die BRD und ihre Verbündeten eine menschenverachtende Vernichtungspolitik betreiben und daß die Türkei mit stillschweigender Zustimmung und politischer sowie militärischer Hilfe des Westens den Völkermord am kurdischen Volk als Kampf gegen den Terrorismus zu verschleiern sucht.

Stellungnahme des AStA-Plenums zur Uni-Verfügung

Die Rechtsabteilung der Universität beanstandete die Unterstützung des Aufrufs zur bundesweiten Demonstration für eine politische und demokratische Lösung der Kurdistan-Frage (Demo in Frankfurt). Den Studierendenschaften ist seit der Schaffung des Hochschulrahmengesetzes (HRG) die Wahrnehmung des politischen Mandats untersagt, mit der Organisation als Zwangsmitgliedschaften wurde ihr Aufgabenkreis auf die Wahrnehmung der hochschulpolitischen Interessen der Studierenden eingeschränkt.

Der AStA geht davon aus, daß die Belange der Studierenden nicht von denen der Gesamtgesellschaft zu trennen sind. Hochschulen befinden sich nicht im luftleeren Raum; sie werden von der Gesellschaft beeinflußt und haben Wirkungen nach außen. Zudem ist einE StudentIn nicht nur als Hochschulmitglied Teil dieser Gesellschaft.

Studierende müssen in der Lage sein, ihr Tun und dessen Folgen in einem größeren Zusammenhang zu sehen und zu beurteilen. Die Trennung von hochschulpolitischen und allgemeinpolitischem Mandat nimmt dem AStA die Möglichkeit, Studierenden ihre gesellschaftspolitische Verantwortung deutlich zu machen.

Zu der Studierendenschaft, die der AStA vertreten soll, gehören auch besondere Gruppen mit spezifischen Eigeninteressen. Der AStA Marburg geht davon aus, daß er sich auch für diese gesellschaftlich Unterdrückten einsetzen und auch ihre Interessen vertreten muß. Die dabei angesprochenen Themen können nicht alle Studierenden der Hochschule betreffen, aber hier kommt dem AStA die Aufgabe zu, über besondere Probleme zu informieren und Akzeptanz zu schaffen.


AStA-Öffentlichkeitsreferat der BALU
bay, 17.10.1994, URL www.michael-bayer.de