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Politisches Mandat,
Neues aus der Zwangskörperschaft ]
Neues aus der Zwangskörperschaft (1)
Das Politische Mandat in den 70er und 80er Jahren
1979 beendete das Bundesverwaltungsgericht eine
langjährige juristische Diskussion mit einem
Grundsatzurteil. Es entschied, daß "das
allgemeinpolitische Mandat der Studentenschaft,
verstanden als nachhaltige und uneingeschränkte
Kundgabe nichthochschulbezogener, allgemeinpolitischer
Meinungen und Forderungen," gegen die Verfassung
verstoße (1). Die rechtliche Kategorie eines
"(allgemein-)politischen Mandats", das den
verfaßten VS im Gegensatz zu einem
hochschulpolitischen Mandat nicht zustehe, haben
Rechtslehre und Rechtsprechung bereits in den 60er
Jahren erfunden. Bis dahin war es ganz
selbstverständlich gewesen, daß die von
Korporationen, RCDS und anderen konservativen
Kräften dominierten Allgemeinen
Studierendenausschüsse (ASten) Fackelzüge
anläßlich des 17. Juni veranstalteten oder zu
Demonstrationen für die Wiedervereinigung
aufriefen. Erst als die Organe der VS im Zuge der
Studierendenbewegung eine gesellschaftskritische
Orientierung einschlugen, wurde deren Politik nicht nur
zum Politikum, sondern gleich zu einem Fall für die
politische Justiz.
Den von den gewerkschaftlich orientierten
Studierendenverbänden MSB Spartakus und
Sozialistischer Hochschulbund getragenen ASten, die in
der ersten Hälfte der 70er Jahre die
hochschulpolitische Landschaft bestimmt hatten, war es
häufig gelungen, ein überregionales Presseecho
und breite Solidarität aus dem gesamten
gesellschaftlichen Reformspektrum zu erzeugen. Dieses
öffentliche Interesse ließ gegen Ende der
70er Jahre nach - ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, als
die Repressionen gegen die VS qualitativ verschärft
wurden. Bisher hatten die Rechtsaufsichtsbehörden
der VS (in der Regel die Hochschulleitungen) bzw. die
Justiz politische Meinungsäußerungen von VS
mit Ordnungsgeldern sanktioniert und waren im Einzelfall
so weit gegangen, die gewählte
Studierendenvertretung zu suspendieren und einen
"Staatskommissar" einzusetzen. (2)
Ab 1978 trieb die Justiz
die Disziplinierung der VS weiter zur strafrechtlichen
Verfolgung von StudierendenvertreterInnen (3):
Ihnen warf man vor, z.B. durch Finanzierung von Flugblättern
mit "allgemein-politischem" Inhalt
Studierendenschaftsgelder "veruntreut" zu haben.
Wenn nun im weiteren Verlauf der 80er Jahre bis heute
tatsächlich ein allmählicher Rückgang
repressiver Maßnahmen gegen VS zu beobachten ist,
so ist dies auf zweierlei zurückzuführen:
- Zum einen arrangierten sich viele VS angesichts einer
"gefestigten Rechtsprechung" zunehmend mit den
juristischen Restriktionen in der Weise, daß sie
ein politisches Mandat nicht mehr ausdrücklich
beanspruchten und den Beanstandungen der Rechtsaufsicht
keinen (rechtlichen) Widerstand entgegensetzten. Die
direkten politischen Forderungen überließen
sie in einer Art inneren Arbeitsteilung ihren
studentischen Verbänden.
- Zum anderen hat eine allmähliche
Mäßigung der politischen Orientierungen der
VS dazu geführt, daß deren politischen
Äußerungen heute nicht mehr in dem Maße
quer zum herrschenden Diskurs liegen, wie dies noch in
den 70er Jahren der Fall war. Die Herrschenden brauchen
das politische Mandat der VS - wie vor 1968 - nicht mehr
in dem Maße zu bekämpfen.
Anmerkungen
1) Entscheidungen des
Bundesverwaltungsgerichts (BVerwGE), Bd. 59, S. 231 ff.
(231 f.).
2) Bundesweite Aufmerksamkeit erregte
1974 die Absetzung des AStA der Universität
Marburg. Die juristische Auseinandersetzung ist dokumentiert in:
Demokratie und Recht 1975, S. 383 ff.
3) M. Breitbach: Die Studentenschaften
im Strudel der Kriminalisierung, in: Demokratie und
Recht 1982, S. 243 ff.
2. Disziplinierung von Sozialbereichen
3. Grundrechtsverletzung durch Zwangskörperschaft
4. Wie bescheiden muß ein Reformansatz sein?
Übersicht
bay, 21.2.1998, URL
www.michael-bayer.de