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Wissenschaftsminister aus den Laendern fordern:

Mit dem "Abitur plus" zum Elite-Studium


From greiling@rzaix340.rz.uni-leipzig.de Mon Jun 26 19:08 MES 1995
Date: Mon, 26 Jun 1995 18:33:16 +0200 (DFT)
From: "Joachim Greiling Sekt. Theologie WS96" <greiling@rzaix340.rz.uni-leipzig.de>
Subject: Hochschulzugang /Symposium in Leipzig
To: basin@faveve.uni-stuttgart.de

Symposium über Hochschulzugang in Leipzig vom 22.-23. Juni 1995

Leipziger Erklärung

folgt im Wortlaut

Sächsisches Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst und
CHE Centrum für Hochschulentwicklung

In einem einheitlichen europäischen Binnenmarkt wird es unweigerlich zu einer Konkurrenz zwischen verschiedenen Ausbildungskonzepten kommen. Das Hochschulwesen in Deutschland ist gekennzeichnet durch Überlast, Nivellierung, Unterfinanzierung und Reformstau. Hieraus resultieren hohe Abbrecherquoten, zu lange Studienzeiten und steigende Akademikerarbeitslosigkeit. Damit die Hochschulabsolventen im Wettbewerb mit Absolventen aus anderen EU-Ländern bestehen können, muß der Hochschulzugang in der Bundesrepublik Deutschland durch die Einführung von Wettbewerbselementen dringend reformiert werden.

Es bedarf daher einer bundesweiten Neuregelung des Fächerkanons der allgem. Hochschulreife (Abitur). Darüber hinaus muß es zu einem Wettbewerb der Hochschulen um die Studierenden und zu einem Wettbewerb der Studierenden um die Hochschulen kommen. Das heißt konkret, daß zuerst eine freie Auswahl der Hochschulen durch die Studienbewerberinnen und -bewerber stattfindet und erst dann eine Zuweisung durch die ZVS erolgt, wenn ein Bewerber an drei Hochschulen seiner Wahl abgewiesen wurde.

Diese Forderung erhoben in einer gemeinsamen 'Leipziger Erklärung zum Hochschulzugang in Deutschland' der sächsische Staatsminister für Wissenschaft und Kunst, Professor Dr. Meyer, und der Leiter des Centrum für Hochschulentwicklung (CHE), Prof. Müller-Böling. Die Autoren stützen sich bei ihrer Erklärung sowie bei ihren umfassenden Vorschlägen zur Reform des Hochschulzugangs auf Beiträge von Referenten und Diskussionsteilnehmern des Symposiums 'Hochschulzugang in Deutschland - Status Quo und Perspektiven' am 22. und 23. Juni 1995 in Leipzig.

1. Reform der allgemeinen Hochschulreife (Abitur)

Derzeit beruht die durch das Abitur erworbene allgemeine Hochschulreife maßgeblich auf einer Prüfung in vier Schulfächern, die ganz unterschiedlich zusammengestellt werden können. Eine bundesweite Steuereungsfunktion existiert nur insoweit, als Fächer in drei Aufgabenfeldern (sprachlich-künstlerisch, mathematisch-naturwissenschaftlich und gesellschaftswissenschaftlich) gewählt werden müssen. Da zahlreiche Studienfächer einem Numerus Clausus unterliegen, werden Schüler der Oberstufe oftmals dazu verleitet, die Kurswahl nicht nach Begabung, Interesse und Studienwunsch, sondern unter dem Aspekt der Zensurenoptimierung vorzunehmen. So sehen sich die Hochschulen heute einer breiten Skala von tatsächlichen Studierfähigkeiten gegenüber, die sich nach Art und Niveau erheblich unterscheiden.

Die derzeitige Debatte über die allgemeine Hochschulreife (Abitur) bewegt sich zwischen zwei Polen: Einerseits soll den Studierenden eine höchstmögliche individuelle Freiheit bei der Auswahl der Schulfächer für die Abiturprüfung eingeräumt werden, andererseits soll das Abitur weithin durch einen generell verbindlichen Fächerkanon festgeschrieben werden: Deutsch, Mathematik, Geschichte sowie jeweils eine fortgeführte Fremdsprache und Naturwissenschaft. In unseren Vorschlägen sehen wir uns durch die Erklärungen der Hochschulrektorenkonferenz zu den Inhalten des Abiturs bestätigt.

2. Wahl der Hochschulen durch die Studierenden

Die Auswahl der Hochschule durch die Studienbewerber ist in vielen Fächern nicht mehr frei, sondern wird gerade in den stark nachgefragten Studiengängen durch einen planwirtschaftlichen Prozeß gesteuert. Dabei wird von einer Fiktion einer Gleichheit der Studiengänge an verschiedenen Hochschulen und von der Fiktion einer Gleicheit des Abiturs ausgegangen. Diese Fiktionen können nicht weiterhin Grundlage unseres Hochschulsystems bleiben.

Daher schlagen wir vor, den Studienbewerbern die Möglichkeit zu geben, sich an drei Hochschulen ihrer Wahl direkt zu bewerben. Erst wenn sie an allen drei Hochschulen abgewiesen werden, sollte zukünftig ein ergänzendes Verteilungsverfahren durchgeführt werden, in dem die Chancen auf einen Studienplatz gesichert und sozialstaatliche Belange berücksichtigt werden. Jeder Studienbewerber erhält so die Möglichkeit, sich an der Hochschule seiner Wahl für einen Studiengang zu bewerben, der nach seiner spezifischen Ausgestaltung und Schwepunktsetzung den besonderen Neigungen und Interessen entspricht.

3. Mitwirkung der Hochschulen an der Auswahl der Studierenden

Das Studium soll den Studierenden u.a. die Fähigkeit zu wissenschaftlicher und künstlerischer Arbeit vermitteln. Nur im Sport und in künstlerischen Fächern ist der Hochschulzugang bisher regelmäßig an ein Auswahlverfahren gebunden. Die Differenzierung bei Inhalten von Studiengängen an den einzelnen Hochschulen stellt unterschiedliche Ansprüche an die Studierfähigkeit der Studienbewerber.

Das Abitur muß daher um die Feststellung der Studierfähigkeit für den jeweiligen Studiengang ergänzt werden, da der Studienerfolg nicht allein von dem mit dem Abitur nachgewiesenen Kenntnissen und Fähigkeiten abhängt. Auf der Grundlage einzelner Schulfächer, die für das jeweilige Studienfach maßgeblich wären, kann allein keine Aussage über die Erfolgsaussichten in einem bestimmten Studiengang getroffen werden.

Daher müssen zur Sicherung der Qualität der Hochschulausbildung den Hochschulen vom Gesetzgeber fest umrissene Rechte zur Auswahl der Studienbewerber übertragen werden. Auf der Grundlage des Abiturs sollen die Hochschulen mittels sachbezogener Auswahlkriterien, aufgrund von Bewerbungsunterlagen, durch Auswahlgesprächen oder Eignungsprüfungen für die jeweiligen Studiengänge geeignete Studierende selbst auswählen. Allerdings wäre eine vollständige Unabhängigkeit der Hochschulen bei der Auswahl der Bewerberinnen und Berwerber verfassungsrechtlich unzulässig.

Auf die hier vorgeschlagene Art und Weise werden der Wettbewerb der Hochschulen um die Studierenden ermöglicht und eine Profilbildung der Hochschulen in Lehre und Forschung unterstützt.

4. Optimierung der freien Ausbildungs- und Berufswahl

Eine Reform des Hochschulzugangs in Deutschland ist zwingend notwendig und längst überfällig. Einer Mitwirkung der Hochschulen an der Entscheidung über den Hochschulzugang steht verfassungsrechtlich nichts entgegen. Grundlegende Anforderungen an die Gestaltung des Auswahlverfahrens und die von den Hochschulen anzulegenden Maßstäbe müssen durch den Gesetzgeber festgelegt werden. So sollte auf der Basis eines Abiturs mit verbindlichem Fächerkanon und speziellen studiengangsbezogenen Anforderungen die Studierfähigkeit sichergestellt werden. Kapazitäten dürfen nicht willkürlich verringert werden. Eine feste Quote der in Auswahlverfahren zur Verfügung stehenden Studienplätze müßten unter Beachtung sozialstaatlicher Belange vergeben werden.

Dem verfassungsrechtlichen Gebot der Chancengleichheit wird eine gestzliche Regelung, die dem Studienbewerber die Chance einräumt, sich direkt an einzelnen Hochschulen zu bewerben, eher gerecht, als die derzeitige bürokratische Verteilung.

Aus dem Grundgesetz läßt sich keine Bestandsgarantie für das bestehende Ausbildungs- und Zulassungswesen ableiten. Vielmehr erscheint eine Neuregelung, die die Auswahl hochschulreifer Studienbewerber im Rahmen allgemeiner gesetzlicher Vorgaben den Hochschulen überläßt, im Hinblick auf Chancenoffenheit und Gerechtigkeit näher am verfassungsrechtlichen Gebot der optimalen Verwirklichung des Grundrechts auf freie Ausbildung als das jetzige Verfahren.


Soweit der Text.

Die Veranstaltung selber war gut/überraschend gut besucht. Deutschlandweite Hochschulprominenz aus Politik (Meyer SMWK - Erhardt Berlin :) ... und andere aus der Hochschullandschaft Jaspers Erlangen/Nürnberg - - Landfried als Vize-Präsident der Hochschulrektorenkonferenz - - Ulmer aus Heidelberg)

Nachdem die Diskussion unter den knapp 90 TeilnehmerInnen wenig kontrovers geführt wurde, stellten sich aber doch geringe Differenzen dar. Die Idee von Minister Meyer ist in seinem Gesetz relativ leicht umsetztbar (mit einer Rechtsverordnung). Schwierigkeiten werden ihm sich die deutschlandweiten Auswirkungen seiner Überlegungen machen. Die Umgehung der ZVS sei als Beispiel genannt.

Arge Zweifel können auch an der Überlegung, daß die Studierenden sich die Universitäten aussuchen können, gemacht werden. (Tun sie das nicht sowieso schon?)

Nun ja, mehr möcht ich zu der Interpretation des Textes nicht sagen. In unserer Lokalpresse wurde der Vorschlag als ins Sommerloch fallender abgetan. Dies könnte zwar sein, aber der Artikelschreiber unterschätzt die Hartnäckigkeit des lieben Meyers.

Vom Symposium selbst ist noch zu sagen, daß Meyer immer wieder betonte, nur das beste für die Studierenden zu wollen, sie hätten doch mehr Wahlmöglichkeit, die Fakultäten bildeten sie besser aus und alles, nur hatte man den Eindruck, daß manche bei Hochschulzugang direkt auch Hochschulzugangsbegrenzung mitgehört haben. Als ein solcher ist der Versuch von vielen interpretiert worden.