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Kriterien für eine Reform


Daß eine Reform dringend nötig ist, ist offensichtlich: Wer mehrere Semester auf einen Laborplatz wartet, in Seminaren mit 80 Leuten diskutieren muß oder regelmäßig vor leeren Bücherei-Regalen steht, kann gar nicht sinnvoll studieren. Hochschulen stehen in der Pflicht, Wissen zu sammeln und Menschen zu bilden, damit wir gesellschaftliche Probleme wie die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen, Arbeitslosigkeit, Nord-Süd-Konflikt, Völkermord, Rassismus und die fehlende Gleichstellung von Frauen und Männern lösen können. Dazu sind Menschen nötig mit Persönlichkeit, Kreativität, Kritikfähigkeit und Problemlösungskompetenz. Diese Eigenschaften können nur mit freiem, selbstbestimmten Lernen und Forschen erworben werden.

Selbstverantwortlich studieren

Studien- und Prüfungsordnungen müssen Spielräume lassen, damit Studierende ihre persönlichen Lebensentwürfe umsetzen können. Die Studierenden müssen selbst entscheiden können, was sie wann, wie, wo und wie lange lernen (selbstverantwortliches Studium).
Statt dessen sollen sich Studierende vorbestimmte Inhalte möglichst schnell aneignen. Sanktionen wie Studiengebühren, Zwangs-Exmatrikulation und Einschränkung des Fachwechsels werden die wenigen bestehenden Lernfreiheiten abbauen und das Studium verschulen. Besonders Maximalstudienzeiten und festgelegte Prüfungszeitpunkte lassen eine wissenschaftliche Ausbildung kaum mehr zu. Ein solches Studium erzeugt StudentInnen, die Prüfungswissen auswendig kennen - und nicht kompetente, kreative Persönlichkeiten. Es bleibt kein Raum für soziales und politisches Engagement und studentische Eigeninitiativen wie Orientierungsveranstaltungen für ErstsemesterInnen oder Studiengruppen.

Interdisziplinär arbeiten

Um die immer komplexer werdenden Probleme zu erkennen und zu lösen, müssen Lehrende und Studierende mehrerer Institute besser zusammenarbeiten. Nötig sind flexiblere Studienordnungen, die Leistungsnachweise zum Schwerpunktthema aus verschiedenen Fachbereichen gelten lassen, mehr und finanziell abgesicherte interdisziplinäre Arbeitsgruppen, ProfessorInnen aus mehreren Fachrichtungen an einem Institut. Besonders Studierende tragen gesellschaftliche Diskussionen in die Hochschulen. Sie müssen daher am Lehrprogramm und in Entscheidungsgremien gleichberechtigt beteiligt sein.
Statt dessen ist eine Entdemokratisierung und Entwissenschaftlichung des Studiums geplant (Lehre ohne Forschung). Außerdem werden interdisziplinäre Studienmöglichkeiten verringert (drohende Abschaffung von Magistra/ter-Studiengängen und schlecht finanzierte fächerübergreifende Arbeitsgruppen).

Freier Zugang zur Uni

Die Hochschulen einer demokratischen Gesellschaft müssen theoretisch und praktisch allen Menschen zugänglich sein - auch denen aus sozial schwachen Gruppen. Sozial Schwache (StudentInnen und andere) müssen materiell abgesichert werden. In der Lehre sind Frauen bevorzugt einzustellen.
Statt dessen geht der Weg in Richtung Chancengleichheit mit dem radikalen Sozialabbau zu Ende. Die Bundesregierung will das Bafög verzinsen und an schärfere Bedingungen knüpfen (siehe Artikel S. 26). So wird es für finanziell schwächergestellte Menschen, junge Mütter und Väter, Behinderte und EinwanderInnen immer schwerer zu studieren. Frauen werden weiter benachteiligt. Studieren wird zum Privileg für die wenigen Kinder vermögender Eltern.

Hochschulen besser ausstatten

Bund und Länder müssen die Hochschulen angemessen mit Geld, Personal und Räumen versorgen.
Statt dessen sinken die Mittel bezogen auf die Zahl der Studierenden seit den siebziger Jahren drastisch. Die grün-rote Landesregierung gefährdet mit Stellen- und Mittelkürzungen die Universitäten in ihrer Substanz. Forschung und Lehre verschlechtern sich weiter. Die zu erwartende Verlagerung von Lehr- und Betreuungsaufgaben auf die wissenschaftlichen MitarbeiterInnen erschwert deren weitere wissenschaftliche Qualifizierung massiv.

Qualität der Lehre verbessern

Die Lehrfähigkeit der DozentInnen und ProfessorInnen muß ein entscheidendes Kriterium bei deren Einstellung sein. Stellungnahmen der Studierenden müssen dabei ausreichend berücksichtigt werden. Lehrende und Lernende sollen gemeinsam Lehrveranstaltungen reflektieren.
Statt dessen sollen Hochschulen und Studiengänge mit fragwürdigen Methoden von außen evaluiert werden ("Ranking"). Der Lehrerfolg wird an geringen Studienzeiten, nicht am sinnvoll vermittelten Wissen gemessen.

Forschung transparent gestalten

Die Forschung muß transparent sein. Die Lehrenden müssen die Inhalte und Ergebnisse ihrer Forschungsprojekte öffentlich zugänglich machen. Die Kontrolle und Bewertung der Forschung gehört in hochschulinterne, demokratische Gremien. Die Freiheit von Lehre und Forschung darf nicht von Interessengruppen von außen angetastet werden. Die Hochschulen müssen gegenüber ihren GeldgeberInnen autonom sein.
Statt dessen sind staatliche Eingriffe in die Hochschulhaushalte (Mittelvergabe nach dirigistischen Kriterien wie Arbeitsmarktlage, Anpassung an Reform-Pläne) vorgesehen. Die Forschung soll verstärkt mit Geld aus der Industrie bezahlt - und damit von außen kontrolliert - werden. Sinnvolle Einschränkungen wie Tierschutz- und Gentechnikgesetze sollen zugunsten schneller industrieller Verwertbarkeit der Forschung verschwinden.
bay, 14.3.1999, URL www.michael-bayer.de