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Das Baukastenmodell

Hochschulen an den Interessen der StudentInnen ausrichten

Von Götz Schindler, München

Es gibt eine Reihe von Gründen, Studienangebote im Baukastenmodell zu diskutieren:

Es geht also um eine "Grundsanierung der und Strukturreform an den Hochschulen" (J. Lange, Generalsekretär der HRK, in: Politische Studien, Sonderheft 2, S.30.).

Eine neue Studienorganisation

Die Vorschläge zu einer Studienorganisation im Baukastenmodell sind im wesentlichen auf drei Ziele ausgerichtet:

  1. Mehr Möglichkeiten der Selbstorganisation des Studiums durch die Studierenden. Damit soll zum einen den unterschiedlichen Begabungen und Motiven der Studierenden für ihr Studium und vorhandenen Beufserfahrungen , zum anderen individuellen Lebenssituationen, beispielsweise Erwerbstätigkeit neben dem Studium, Rechnung getragen werden. (Der letzte Aspekt war bei den ursprünglichen Vorstellungen zum Baukastensystem noch nicht in der Diskussion, ist aber inzwischen immer wichtiger geworden.

  2. Ausbildung für breite Berufsfelder, besonders Ausbildung der Fähigkeit, die Veränderungen der Berufsfelder aktiv mitgestalten und bewältigen zu können.

  3. Vorbereitung der Studierenden auf die Aufgabe, auf soziale, politische und wirtschaftliche Veränderungen nicht nur zu reagieren, sondern sie aktiv mitzugestalten.

Das aus heutiger Sicht wichtigste Merkmal des Baukastenmodells ist die Flexibilisierung der Studiengangstrukturen. Das Studium wird nicht durch herkömmliche Lehrveranstaltungsarten geprägt, sondern durch themen- bzw. problembezogene Studieneinheiten. Die Studieneinheiten sind interdisziplinär angelegt, ihre Inhalte beziehen sich also nicht nur auf ein Fach. Sie sind nicht durch jeweils eine Lehrveranstaltungs bzw. Lernform geprägt, sondern durch eine auf Ziele und Inhalte der Studieneinheit bezogene variable Abfolge unterschiedlicher Lehr- und Lernformen: neben den Vorlesungen, Seminaren und Übungen z.B. Praktika, Arbeitsgruppen, Kolloquien, Fernstudieneinheiten und darauf bezogenes Eigenstudium. Studieneinheiten könne je nach Bedarf von Lehrveranstaltungen "herkömmlicher Art" begleitet werden, in denen z.B. Methodenkenntnisse vermittelt werden, die für die Bearbeitung der Themen der Studieneinheiten benötigt werden.

Anzahl und Dauer der Studieneinheiten können nicht generell festgelegt werden, sie sind abhängig von den Studienzielen des jeweiligen Studienganges. Entsprechende Konzepte gehen z.B. von zwei Einheiten pro Semester aus, wobei jede Studieneinheit auf eine Bearbeitungszeit von rund sechs Wochen ausgelegt ist. Die übrige Zeit, die für das Studium zur Verfügung steht, ist für Projektarbeit, Teilnahme an Lehrveranstaltungen und Eigenstudium zu veranschlagen.

Mit dieser Organisation haben die Studierenden die Möglichkeit, ihren individuellen Studiengang zusammenzustellen, der ihren fachlichen, persönlichen und beruflichen Interessen entspricht. Dies erfordert eine intensive Studienbegleitende Beratung, die darüber hinaus die Aufgabe hat, nach Abschluß jeder Studieneinheit gemeinsam mit den Studierenden die individuellen Studiengangplanungen zu überprüfen und ggf. zu modifizieren.

Ein wesentlicher Teil des Studiums in den Studieneinheiten vollzieht sich in Tutorengruppen. Sie dienen nicht vornehmlich der Stoffvermittlung, vielmehr werden die Studierenden hier zu regelmäßigen wissenschaftlichen Gesprächen und zu "forschendem" Verhalten angeregt und angeleitet. In den Studieneinheiten entsteht somit ein Netz von Arbeits- und Diskussionsgruppen, Lektürekursen usw., das neben den Vorlesungen, Seminaren, Kolloquien und Praktika den Lehr- und Lernbetrieb prägt.

Haben die Studierende eine Studieneinheit abgeschlossen, erhalten sie ein Zertifikat, das Auskunft über ihre Leistungen in Hausarbeiten, Referaten, Bearbeitung von Teileinheiten usw. gibt. An die Stelle der heute üblichen Abschlußprüfungen tritt eine definierte Anzahl von benoteten Zertifikaten. Der Zeitrahmen für den Erwerb der Zertifikate ist variabel, da das Studium nach dem Baukastenmodell den Studierenden ermöglichen soll, den Studienfortgang ihren Lebensverhältnissen (Erwerbstätigkeit neben dem Studium, Kinderbetreuung usw.) anzupassen sowie zwischen Phasen der Erwerbstätigkeit und Phasen des Studiums zu wechseln, etwa um den Praxisbezug des Studiums zu verbessern.

Offene Fragen

Aufgabe dieser kurzen Darstellung der wichtigsten Merkmale des Studiums nach dem Baukastenmodell kann es nicht sein, alle für die Einführung eines solchen Modells notwendigen Voraussetzungen darzustellen. Beispielsweise kann hier nicht diskutiert werden, ob die heutige Semestereinteilung des Studiums beibehalten werden könnte oder nicht. Entscheidende Voraussetzung ist, daß Ziele und Inhalte der Studiengänge und -einheiten, der Stellenwert letzterer im Rahmen des gesamten Studienganges und das sinvolle Ausmaß an inhaltlicher und didaktischer Flexibilität definiert werden. Das ist sowohl im Hinblick auf Planung und Evaluation der Studiengänge und -einheiten als auch auf die Bewertung des individuellen Studienerfolgs notwendig.

Im einzelnen sind für den gesamten Studiengang und jede Studieneinheit vor allem zu definieren bzw. zu beschreiben: Ziele und Teilziele sowie der Zeitraum, in dem sie erreicht werden sollen; Studieninhalte und -themen; Evaluationsverfahren für Lehr- und Lernprozesse; Vorschläge bzw. Festlegungen zu Lehr- und Lernstrategien.

Die hier skizzierten Festlegungen finden ihre Grenze in der notwendigen Flexibilität dieses Studiengangmodells. Weder die Flexibilität im Hinblick auf die Studieninhalte noch auf die Lehr- und Lernformen - hier insbesondere im Hinblick auf die Beteiligung von Studierenden an Forschungsprozessen ("forschendes Lernen") - darf eingeschränkt werden. Studentische Teilnahme an Forschungsprozessen entzieht sich der "Planbarkeit" in einem streng klassifizierten Curriculum und erfordert notwendigerweise einen "offeneren Vermittlungsrahmen zwischen Lehrenden und Lernenden" (J. Wildt).

Kritikansätze

Die kritischen Fragen, die an ein Studium im Baukastenmodell zu stellen sind, sind hier nicht erschöpfend zu behandeln. Es sei aber auf zwei Aspekte hingewiesen. Wenn Studium als wissenschaftliche Berufsausbildung verstanden wird, ist zu fragen, ob es nicht einer größeren Kontinuität des Studienablaufs und einer systematischeren Aneignung wissenschaftlichen Wissens bedarf und inwieweit diese auch im Rahmen eines Studiums nach dem Baukastenmodell erreichbar wären.

Zweitens ist zu überprüfen, ob Studieneinheiten, wie sie hier skizziert wurden, nur im Rahmen eines Studienganges sinnvoll sind, der insgesamt nach dem Baukastenmodell strukturiert ist, oder inwieweit sie auch in Studiengänge "herkömmlicher" Art integriert werden können.

Zum Nachlesen

Bundesassistentenkonferenz (Hrsg.): Forschendes Lernen - wissenschaftliches Prüfen (Schriften der BAK Nr. 5), Bonn, 2. Aufl. 1970.

Politische Studien, Sonderheft 2/93: Die Hochschulen vor dem Kollaps?

Weizsäcker / Dohmen / Jüchter u.a. (Hrsg.): Baukasten gegen Systemzwänge. Der Weizsäcker-Hochschulplan, München 1970.

Wildt, J.: Studiengangsentwicklung und Studiengangsmodelle, in: Enzyklopädie Erziehungswissenschaft, Bd.10, hrsg. v. L. Huber, Stuttgart 1983, S.307-330.


bay, 15.1.2001, URL www.michael-bayer.de